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REPORTAGE - WATTWANDERUNG

Veröffentlicht am 21.09.2021 von Maike Otto - E-Mail: presse@buesum.de - 13.316 Zeichen (inkl. Leerzeichen)

Den Meeresboden entdecken - Wattwandern bis zum Horizont

Buntes Kaleidoskop wechselnder Eindrücke im Watt vor Büsum

Meer und Watt und Himmel sind monochrom; grau und gleichmütig. Vor Büsum zieht sich die Nordsee zurück und die Leute folgen dem Wasser bis an den Spülsaum, kaum mehr als ein paar Hundert Meter sind es hier. Ein sanfter Wind weht herüber und trägt die klagend klingenden Rufe der Möwen vorbei, die freundlich und maritim klingen. Nach einem Urlaub am Meer und was die Menschen da draußen machen, ist ein Erlebnis, das niemals eintönig ist und immer Neues birgt; Überraschendes, Spannendes, mindestens eine Anekdote und eine ordentliche Portion frische Seeluft sowieso. Sie entdecken den Meeresboden mit all der (Lebens)-Vielfalt – willkommen in Büsum; willkommen im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, eingebettet im UNESCO-Weltnaturerbe.

Johann-Peter „Jan“ Franzen ist Nationalpark-Wattführer und Gründungsmitglied der Wattführer-Gemeinschaft Dithmarscher Nordseeküste, die Gästen in und um Büsum dieses einzigartige Naturerlebnis zeigen, näherbringen, erleben lassen. Touren und Tourguides sind so unterschiedlich und vielfältig wie das Watt selbst. Vom kindgerechten Kennenlernen bis zu einem außergewöhnlichen Nationalpark-Erlebnis. Wann, wenn nicht jetzt; wo, wenn nicht hier. Die Wattläufer da draußen wirken im Gegenlicht wie Scherenschnitte, ihre Spiegelbilder sind verzerrt auf nassem Sand. Wer das Watt, seine Bewohner und Geheimnisse kennenlernen mag, wer unbeschwert sehen, anfassen und fühlen möchte – und sicher wieder heimwärts will - der sollte sich unbedingt einer qualifizierten Wattführung anschließen.

Das ablaufende Wasser scheint die Wolken und das Diesige mit fortzuziehen. Heute möchte Jan seine Gäste (individuelle Führungen sind nach Absprache auch möglich) mitnehmen auf eine drei-, vierstündige Tour. Eine „mittlere“, die Große, das ist ein sechsstündiger 20-Kilometer-Plus-Marsch nach Blauortsand, die Kleinen sind einstündige Ausflüge mit Schaufel und Eimer. Es ist eine gelöste, angenehme Nachmittagsstimmung, als die Leute nördlich der Familien-Lagune Perlebucht das Watt betreten. Neugierde in den Gesichtern und voller Vorfreude, sie zeigen, suchen und spekulieren. Wie ist es da draußen? Was gibt es zu sehen? Ein Segelboot zieht in der Ferne über das Meer und die Nordsee glitzert silbrig unter der Sonne.

Ja, wie ist es da draußen? Immer anders meint Jan, das einzig Beständige sei die Veränderung. Er sucht eine Stelle, an der der Priel direkt vor der Küste ohne nasse, hochgezogene oder kurze Hosen gequert werden kann. Priele sind Gezeitenströme, darin fließen Ebbe und Flut ein und aus. Den kleinen Priel hier, den queren die Leute ohne Probleme. Die „Piep“, den „Ossengot“, das „Scholl-Loch“ aber sind entweder Wasserstraßen oder manchmal eben Endpunkte einer Wattwanderung; zu groß, zu tief, Flüsse auf dem Meeresboden. „Wir versuchen, heute bis zum Scholl-Loch zu gehen“, sagt Jan, „dieser Priel liegt gute zwei Kilometer weiter westlich von hier. Mein Großvater hat darin noch mit einem kleinen Netz Schollen gefangen, deshalb heißt der Priel so.“ Und er gehört zum System der Gezeitenrinnen, die das Watt wie ein Geflecht lebenswichtiger Adern durchziehen.

Das frohe und muntere Piepen von Austernfischern begleitet die Gruppe beim Gang über den Meeresboden. Das sind hübsche Vögel, die an der Küste Dithmarschens unbedingt dazugehören. Und dann sind hier natürlich Möwen. „Wir wollen sehen, ob wir alle fünf hier vorkommenden Arten entdecken. Das da“, sagt er und zeigt auf eine, die vorbeifliegt, „…ist, eine Heringsmöwe und eben an der Küste haben wir Lachmöwen gesehen. Draußen auf dem Meer sehen wir vielleicht Silbermöwen, die über die Piep segeln. Mit etwas Glück Mantelmöwen über Blauortsand und Sturmmöwen im Wind.“ Corona-bedingt sollte man dazu sein eigens Fernglas mitbringen. Nun klingen die Rufe der Möwen nach Sehnsucht und endloser Weite am Meer.

Die Süderpiep ist das Fahrwasser nach Büsum, ein gewaltiger Gezeitenstrom. „Schaut mal auf die grünen und roten Tonnen auf dem Wasser. Sie markieren den Schifffahrtsweg. Und ihre Spitze zeigt immer in die Strömungsrichtung.“ Das ist in diesem Fall nach Westen, dem ablaufenden Wasser hinterher. Wattführungen beginnen oft ein paar Stunden vor dem Niedrigwasser. Längst ist die Küste weit im Osten zurückgeblieben und der Rhythmus der Schritte gefunden, es lässt sich gut gehen auf dem festen Sandwatt. Das Gefühl von Aufbruch und Freiheit macht glücklich. Gänsehaut nicht nur wegen der frischen Brise. Es riecht nach dem Meer; nach Tang und Jod, man schmeckt Salz auf den Lippen und der Wind prickelt im Gesicht. Der Südwind treibt dieses Aroma zig Kilometer über Wasser und Watt zum Durchatmen hier her.

Wattwanderungen erfrischen Körper und Geist. Sind die Sinne wieder geschärft und wiedergefunden, und das sind sie schnell, wird aus der vermeintlichen grauen Einöde ein buntes Kaleidoskop wechselnder Eindrücke, eröffnet sich das Kuriositäten-Kabinett wie ein Bilderbuch. Natürlich gräbt Jan einen Wattwurm aus und jeder darf den mal in die Hand nehmen. Dann findet er ein sonderbares, filigranes Bäumchen, das er vorsichtig aus dem Sand freilegt. „Das ist die Wohnröhre des Bäumchenröhrenwurms. Der frisst und verkleistert die von den Vögeln ausgeschiedenen Muschelschalen, den Schill zu diesem Kunstwerk der Natur.“ Das sieht nicht nur seltsam aus, sondern identifiziert diesen Lebensraum als ökologisch hochwertig und intakt, als ein gesundes Watt.

Um solche Sachen zu sehen, kommen Leute von sehr weit her. Das Watt von den Niederlanden bis nach Dänemark ist das größte seiner Art. Weltweit mehr als 10.000 Arten Tierarten und Pflanzenarten leben hier – von der Kegelrobbe, die jeder sehen will, bis zum Mikro-Organismus, den nur Forscher kennen. „Kürzlich durfte ich eine Dame aus Japan begleiten, sie kam extra nach Schleswig-Holstein, um unser Welterbe zu besuchen und kennenzulernen.“ Man merkt Jan an, wie stolz er darauf ist und wie gern es den Leuten zeigt, er macht das seit 35 Jahren. „Die Ausweisung zum Nationalpark haben wir uns alle zusammen erarbeitet, die Auszeichnung zum UNESCO-Weltnaturerbe wurde uns verliehen.

Das Watt ist voller Leben. Voller Muscheln zum Beispiel, immer wieder finden sich die Schalen von Austern, von Herzmuscheln und Miesmuscheln. Wer genau hinsieht, wird im Wattboden Sandklaffmuscheln entdecken und natürlich die amerikanische Schwertmuschel, vielleicht auch nur ihre Schalen. Jan hebt eine Austernschale auf, darauf ein winziges Lebewesen. „Das ist eine Wattschnecke, sie gehört genauso zu den Lütten Fiev wie der Wattwurm oder die Herzmuschel“, erklärt er. Die Kleinen Fünf also, so bezeichnet in Anlehnung an die Big Five afrikanischer Safaris. Bleiben zwei: In den kleinen Prielen kann man mit Glück – und einem kleinen Kescher – oft graue Garnelen fangen; das, was man von Krabbenbrötchen kennt – die Nordseegarnele. Und was bald zügig zu entschwinden versucht, ist die Strandkrabbe. All das wird selbstverständlich nach Besichtigung wieder lebend in die Freiheit entlassen.

Immer weiter führt der Weg nach Westen. Längst mischt sich ein Rauschen in die ewige Melodie des Windes. Jan hat die Gruppe an das Ufer der Süderpiep geführt. Hier liegt allerhand Angespültes – lange Stücke ledrigen Tangs zum Beispiel mit Blasen wie kleine Schwimmkörper, Laichballen der Wellhornschnecke. Jan findet ein Stück schwarzes, bröseliges Holz, dessen Alter er auf 6.000 Jahre schätzt, und er erzählt davon, dass das Nordseebecken einst Land mit Wäldern und Lebensraum unterging, dass anderswo der Mensch mit Deichen neuen schuf. Die Leute schlendern nun am Spülsaum entlang. Jetzt vor allem eines im Sinn: Was ist denn nun mit Bernstein?

Jan lacht. Ja, klar, den könne man schon finden. Mit ganz viel Glück nach einem Sturm auf dem Sand und dort, wo der kleine, dunkle Grieß zwischen den Sandrippeln im Meeresboden zusammengetrieben ist. „Darauf musst Du dich allerdings konzentrieren, da brauchst Du den richtigen Blick für.“ Oder eben viel Glück. Ein Erlebnis ist es allemal, auch ohne diese schmucken Stücke, die ungeschliffen ohnehin kaum zu erkennen sind. Eine gute Erfahrung ist es auch, dass es nicht immer alles zu sehen gibt. So wie hier und heute die Seehunde auch nicht. Der Wattführer sucht vergeblich mit dem Fernglas das Wasser der Piep ab, das gegenüberliegende Ufer, den hohen Sand im Westen. Keine vorwitzige Schnauze, die aus dem Wasser lugt, keine sich sonnenden Seehunde auf der Sandbank. Heute nicht und morgen schon vielleicht.

Dafür Vogelschwärme, die seltsame Tänze tanzen im Himmel. Zugvögel wie der Alpenstrandläufer heute in kleiner Zahl und bald schon zu Hunderttausenden an der Nordseeküste. Möwen und Austernfischer, Blasentang und andere Algen und Pflanzen, die aromatisch nach dem Meer riechen und die Jan tropfend in der Hand hält. Das Watt, auf dem gegangen wurde, hebt sich sanft gewölbt wie ein Uhrglas auf dem Meeresboden, wie eine ganz flache Insel wirkt sie. Nun steht die Gruppe an einem weiteren Priel zu hören ist neben der Melodie des Meeres (Brandung, Wind und Vogelstimmen) das Platschen abbrechender Prallhänge an den Prielen, das Scholl-Loch ist erreicht und damit der Wendepunkt dieser Tour. Das Wasser strömt und läuft in weiten Kurven, schneidet die Sandbank an. „Hier ist Dynamik drin“, sagt Jan, „und alles ist in ewiger Veränderung.“

Weit draußen sind die Segel eines Bootes zu erkennen und die Baken von Blauortsand sowie Tertiussand, außerdem die Hütte von Trischen, einer hohen Sandbank beziehungsweise einer Düneninsel irgendwo im Nirgendwo – zu Ende ist diese Zwischenwelt aus Watt, Sandbänken und Gezeitenströmen noch lange nicht. Bald wird hier wieder mehr als drei Meter hoch das Wasser stehen. Augenblicke des Innehaltens für die Gruppe. Und für die Nordsee: „So, Leute! Achtet mal auf die Tonnen im Fahrwasser.“ Die Spitze zeigt nach oben und langsam, ganz langsam neigt sie sich nach Osten. Die Flut kommt. Langsam und beinahe unmerklich. Jan hat natürlich genügend Zeit eingeplant, doch nun muss es heimwärts gehen, denn die Nordsee wartet nicht. Ein Krabbenkutter ist auf Kurs Heimathafen Büsum und auch für die Wattwanderer heißt es nun Kurs Ost, das Hochhaus und die Silos des Büsumer Hafens im Blick. Denn bald schon sind die Seehunde wieder unter sich.

 

  • Blauortsand – die Königin der Riesenwattwanderungen; der Hochsand liegt sieben Kilometer vor der Küste. Es werden Wattbereiche durchwandert, wo das Hochwasser sonst drei Meter steht. Ein außergewöhnliches Erlebnis. Treffpunkt: Wesselburen, Dauer: rund sieben Stunden / Länge: min. 20 km. www.reiseservice-franzen.de
  • Riesenwattwanderung Drei-Priele-Tour; das Ziel ist die Wattfläche zwischen Scholl-Loch, Norderpiep und Ossengot, hier weideten vor 700 Jahren noch Rinder, spannende Wattstrukturen, hier auch Info zu Küstenschutz und Deichbau, Treffpunkt: Badestelle Stinteck, Dauer: Rund vier Stunden, Länge: ca. 12 Kilometer www.reiseservice-franzen.de
  • Wattwanderung mit Muße vor Büsum; Wattexkursion geeignet für alle Altersklassen sowie für Rollstuhlfahrer (Wattrollstuhl ist auszuleihen bei der Tourismus Marketing Service Büsum GmbH) Themen sind u. a. Biologie, Lebenswelten, Geografie - und auch Interessantes zum Seebad Büsum selbst. Dauer: rund zwei Stunden, Treffpunkt: Hauptaufgang zum Strand. www.reiseservice-franzen.de
  • UNESCO-Welterbe Exkursion Small Five / Lütte Fiev; verschiedene Wattarten nördlich von Büsum, Entstehung und Veränderung des Watts, Informationen zum Küstenschutz, natürlich zum Lebensraum Wattenmeer – es werden die typischen fünf kleinen Lebewesen gesucht. Treffpunkt: Badestelle Stinteck, Dauer: rund zwei Stunden www.reiseservice-franzen.de
  • Die Schutzstation Wattenmeer Büsum bietet unter anderem an: Eine Wattführung der besonderen Art – zu Beginn der Dämmerung in Richtung Sonnenuntergang. Eine stimmungsvolle und romantische Tour. Neben fachkundigen Infos zum Watt werden Geschichten erzählt und es wird ein Gedicht vorgetragen. Bis die Sonne in der Nordsee versinkt. Außerdem: Besonders an Familien mit Kindern (ab drei Jahren) richtet sich eine Watterlebnistour. Spielerisch und altersgerecht werden die jüngsten Gäste an das Naturwunder Watt herangeführt. (Wenn Corona es – wieder - zulässt, ist für die Kinder ein Schatz im Watt vergraben, den es zu finden gilt). Und ganz gewiss lernen die Großen auf dieser Tour auch noch etwas. www.schutzstation-wattenmeer.de/unsere-stationen/buesum
  • Ein besonderes Highlight unter den Wattwanderungen in Büsum ist das traditionelle Wattenlaufen mit Musik mit dem Büsumer Sommerorchester. Ein buntes und stimmungsvolles Treiben, dessen Ursprung auf das Jahr 1900 zurückgeht. www.buesum.de
  • Die Nationalpark-Wattführer Antonie und Bodo Spreu bieten unter anderem an: eine Familienwattführung mit Krabbenfischen, altersgerecht und gruppenspezifisch. Dazu wird ein nach historischem Vorbild selbst gebautes Fanggerät durch seichtes Wasser über das Watt geschoben. Darin finden sich neben den Nordseegarnelen oft auch kleine Fische, wie zum Beispiel junge Schollen; die Tier- und Pflanzenwelt wird erklärt, auch, warum das Wattenmeer die Kinderstube der Fische ist, und alle Lebewesen werden nach Angucken und Erklären wieder lebendig entlassen. Auch diese Exkursion weckt Interesse und trägt den Schutzgedanken weiter. www.buseum-fuehrungen.de.

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